Nach dem ich vor einem Jahr noch mit der Reha für meine neue Backbord-Hüfte befasst war, ist jetzt mal wieder ein größerer Törn dran.
Es sollte am 13. März mit der MSC Lausanne von Hamburg via Rotterdam, Antwerpen, Le Havre und Limassol nach Ashdod gehen.
Vom nahe gelegenen Tel Aviv folgt, zusammen mit Irmela, anschließend eine DER-Tour-Rundreise durch Israel und Palästina. So der Plan.
Da die Frachtschifffahrpläne wegen vieler Nordseestürme und des Corona-Virus durcheinandergewirbelt sind, lande ich nach etlichem Hin und Her bereits am 29. Februar auf dem Schwesterschiff, der MSC Geneva, die ebenfalls die Linie „Israel-Express“ bedient:
Dieses knapp 300 m lange Schiff ist also für 17 Tage mein Zuhause. (Es werden dann schlussendlich 40) In Fahrt kann man es hier betrachten: https://youtu.be/72E83P2CVCw
Dass ich also fast 2 Wochen früher als geplant in Tel Aviv eintreffe, ist nicht weiter schlimm, denn die Stadt bietet laut Reiseführer viel Kultur und das Klima soll dort im März richtig angenehm sein.
Ich bin der einzige Passagier und beziehe die geräumige Eigner-Suite auf dem
F-Deck mit getrenntem Wohn- und Schlafraum.
Irmela ist nicht so frachtschiff-affin und verlässt den Dampfer vor dem Ablegen.
Während der Elblotse sich ein Häuschen für den Ruhestand ausguckt, sage ich „Tschüß, Hamburg“!
Der kroatische Kapitän Roman Sinisa führt das Schiff der „Mediterranian Shipping Company“ mit Sitz in Genf. Bereedert wird es von der Niederelbe Schiffahrtgesellschaft in Buxtehude. Bis auf den Master und einen Philippino kommt die gesamte Crew aus Sri Lanka.
Dass ich während meines Asien-Törns 2017 zwei Wochen auf dieser schönen Insel verbracht habe, erleichtert mir den Kontakt zur Mannschaft.
Es ist immer wieder ein Erlebnis, Blankenese und das noch winterschläfrige Fährhaus in Schulau aus dieser Perspek-tive zu sehen.
Auch die Lange Anna winkt über die Wellen.
In Rotterdam liegen wir im neuen Container-Terminal, das an der Maas-Mündung aufgeschüttet worden ist. Da lohnt sich die Fahrt ins weit entfernte Stadtzentrum kaum. Also chille ich lieber an Bord und nutze das Gym ein bisschen.
Auch in Antwerpen gehe ich nicht an Land, denn es regnet den ganzen Tag Bindfäden. Hinzu kommt die Meldung, dass Israel die Grenzen für Mitteleuropäer wegen des Corona-Virus schließt.
Ich werde also in Ashdod nicht von Bord kommen und die Israel-Rundreise ist wohl geplatzt.
Positiv immerhin: Dies alles geschieht an einem Donnerstag = Seemannssonntag. Da gibt’s besonders leckeres Essen.
Nach kurzer Überlegung und Rücksprache mit dem Kapitän beschließe ich, in Limassol auszusteigen, um noch eine Woche Zypern bei frühsommerlichen Temperaturen zu genießen.
Google-Flight zeigt, dass man für knapp 200 € mit Gepäck und Sitzplatzwahl in 6 h von Larnaka (mit Umstieg in Athen) nach Hamburg kommt. Ein passables Hotel in Larnaka und der Flug mit Aegean sind via Smartphone schnell gebucht.
Folgerichtig werden jetzt Überlegungen angestellt, das Hotel in Tel Aviv, die Rundreise und die Flüge mit Brussels Airlines zu stornieren. Hoffentlich sämtlich ohne Stornokosten. Ich warte die Entwicklung ab.
Am folgenden Tag geht es bei sonnigem Wetter an den Kreidefelsen von Dover (Bye-bye!) vorbei nach Le Havre.
In der Stadt an der Seine-Mündung leben heute 170 000 Einwohner.
Anfang September 1944 zerbombte die Royal Air Force die noch von der Wehrmacht gehaltene Stadt fast vollständig. Die Überreste wurden zwei Wochen später von britischen Bodentruppen befreit. Kriegslogik eben.
Wiki sagt: „Die Stadt wurde nach den schweren Zerstörungen im 2. Weltkrieg nach den Plänen des Architekten Auguste Perret mit einem Team von 60 Architekten von 1945 – 1954 wieder aufgebaut.
Der Stadtkern mit seiner charakteristischen farbigen Betonarchitektur ist eines von zwei (neben Brasilia) Stadtensemble des 20. Jahrhunderts in der Liste des UNESCO-Welterbes.“
Auf mich macht die Stadt, in der ich schon 2012 bei meinem Brasilien-Törn an Land war, einen etwas tristen Eindruck, wie „Neue Heimat“ bei Regen. Das Wetter ist an diesem Tag allerdings auch grau in grau. Da lernt man den norddeutschen Rotklinker zu schätzen.
Bereits von See aus sieht man den Turm der St. Joseph-Kirche, der, wie ich finde, einer Rakete aus Beton gleicht.
Ein im Gotteshaus ausliegender Prospekt spricht hingegen von einer „ästhetischen und spirituellen Offenbarung“.
Dies lässt sich im Inneren allerdings auch nachvollziehen.
Wenn schon Kultur, dann aber richtig! Also besuche ich noch das MUMA der Stadt.
Leider wird im Erdgeschoss gerade umgebaut. Dafür ist der Eintritt gratis. Im Obergeschoss hängen immerhin einige Renoirs und es gibt eine originelle Wand zum Thema la vache – die Kuh.
Anschließend treffe ich mich im Seemannsclub mit drei Crewmitgliedern, um gemeinsam zurück zum Schiff zu fahren.
Die Biskaya zeigt sich am folgenden Tag von ihrer gewohnt stürmischen Seite mit atlantischem Schwell. Aber: Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern, zumal die Container gut gelascht sind.
Die Biskaya zeigt sich am folgenden Tag von ihrer gewohnt stürmischen Seite mit atlantischem Schwell. Aber: Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern, zumal die Container gut gelascht sind. Beim Frühstück fragt mich der Kapitän, ob es mir bei einem 5! - Wochen-Törn nicht vielleicht langweilig würde. Ich verneine, denn schließlich bin ich gern auf See und habe außerdem einen mit Tausenden Seiten geladenen Kindle dabei. So eröffnet er mir nun unaufgeregt, dass Zypern ebenfalls die Grenzen geschlossen habe, also auch dort niemand von Bord dürfe.
Dies betrifft nicht nur mich, sondern auch einen Teil der Mannschaft, denn es war partieller Crew-Wechsel angesagt.
Ich werde den Affenfelsen also noch mal an Steuerbord bei hoffentlich ähnlich guter Beleuchtung anschauen können.
Da wir in der Meerenge von Gibraltar für ca. 30 min Netz haben, läuft das Smartphone mit WA auf Hochtouren.
Ich erfahre, dass St. Pauli in Sandhausen 2:2 gespielt hat und sage mich u. U. für den 2. April mit der MSC Geneva in Hamburg an.
Rolling home – across the sea ……. (wenn alles nach Plan verläuft). Dies hat auch einen speziellen Reiz, denn ich bin bisher nur selten in Hamburg eingelaufen:
Ein paar Mal von Helgoland natürlich, einmal mit der Prinz Hamlet von Harwich und 2004 mit MS Ute von Riga kommend.
2 Tage später, querab Sizilien, gibt’s wieder Netz und ich erfahre, dass in Hamburg Schulen + Kitas geschlossen werden. Oha!!!
Dagegen sind Ligaspiele ohne Zuschauer ja ein Klacks. Käpt’n Sinisa hofft, dass der Crew-Wechsel jetzt in Valencia am 27.03. stattfinden kann. Dem würde ich mich gern anschließen, denn Valencia ist immer zwei, drei Tage wert.
Aber warten wir erst einmal ab, was bis dahin noch alles passiert.
Nach acht Seetagen nähern wir uns dem eigentlichen Ziel meiner Reise: Ashdod, etwa 50 km westlich von Jerusalem.
Die Israelis sind wegen Corona sehr rigide. 24 h vor Ankunft muss bei allen die Temperatur gemessen und per Telex gemeldet werden.
Das macht Second-Mate (2. Offizier) Batagalle, der auch für den medizinischen Bereich zuständig ist.
Glücklicherweise hat der südkoreanische Techniker, der uns seit Antwerpen begleitet, um ein Aggregat in der Maschine zu fixen, gleichzeitig Geburtstag, so dass aus der Thermometeraktion eine lustige Party wird.
Beim Einlaufen in Ashdod am nächsten Tag ist auf der Brücke Maskenball. Ein Lotse links. Sein Kollege ist offenbar Kettenraucher. Er verschwindet mehrmals auf der Nock, um sich Glimmstängel unter die Maske zu schieben. Wahrscheinlich hätten wir Ärger bekommen, wenn ich das fotografiert hätte. Selbst die Festmacher unten auf der Pier laufen mit Mundschutz herum.
Nachdem die Leinen dicht geholt sind, macht mich der Käpt’n auf unscheinbare, weiße Quader aufmerksam, die überall auf dem Gelände verteilt sind. Es sind Schutzräume für den Fall eines Raketenbeschusses aus dem nahege-legenen Gazastreifen.
Mehr bekomme ich von der sechstgrößten Stadt Israels leider nicht zu sehen.
In meinem Reiseführer heißt es:
„Ashdod wird als wichtiger Ort der Philister ein Dutzend Mal in der Bibel erwähnt. Sie sollen die Bundeslade hierher entführt haben,
wofür die Bewohner der Legende nach mit Hämorrhoiden und einer Plage weißer Mäuse bestraft wurden.“
Vielleicht doch ganz gut, dass ich hier nicht an Land darf.
2 Tage später ist wieder hohe Konzentration beim Auslaufen angesagt. Ohne Lotsen können wir die Masken fallen lassen. Links der Käpt’n, am Ruder ein „Able Seaman“ und im Chelsea-Tri-kot Chief-Mate (1. Offizier) de Silva.
Während des 5 h-Törns nach Haifa kann ich Tel Aviv, wo ich eigentlich 2 Wochen verbringen wollte, immerhin in Augenschein nehmen. Nämlich aus dem Steuerbord-Luk meiner Wohnkammer.
Bei ca. 11 Seemeilen Distanz muss allerdings das Tele-objektiv meiner Lumix helfen: Vor Haifa ankern wir 1,5 Tage.
Das gibt mir Gelegenheit, das Kleingedruckte des Beförderungs-vertrages genau zu checken. Demnach kommt die Reederei zu 100% für die Tage an Bord nach Ashdod auf. Nun ja, immerhin 23 Tage für lau in der Eigner-Suite.
Kurz nach dem Abendessen -- Entscheidung vom Headquarter in Genf: In Haifa wird nicht festgemacht, sondern es geht in einem „Night-Ride“ mit 19 kn nach Limassol.
Und in der folgenden Nacht mit 18,5 Knoten wieder zurück nach Haifa. Dort wird richtig scharf kontrolliert: Jeder muss mit Mundmaske zur Gangway, damit dort ein israelischer Kollege die Temperatur messen kann. Haifa scheint eine schöne Stadt zu sein. Schade, dass ich nicht an Land darf.
Es ist wohl der „levantinischen Gemächlichkeit“ geschuldet, dass sich der Lösch- und Ladeprozess über fast 3 Tage hinzieht.
Der Käpt’n schwärmt von Antwerpen, Hamburg und Rotterdam, wo selbst über Weihnachten 24/7 geackert wird. Wenn ich an Land dürfte, wäre es mir so herum allerdings lieber gewesen. Immerhin gibt es ein gutes 4G-Netz, so dass ich in ständigem Kontakt mit der Heimat bin.
Es kommen auch nur noch 2 Häfen bis Hamburg, nämlich Valencia und Felixstowe, mit entsprechend vielen Seetagen dazwischen.
Letztere verbringe ich gern als Rudergänger oder Ausguck auf der Brücke, damit der Autopilot auch mal durchatmen kann.
Noch mehr Zeit verbringe ich lesend auf der Couch meiner Kammer.
Ich habe überwiegend Literatur zum Nahost-Konflikt auf dem Kindle geladen. Zwei der Bücher kann ich als sehr lesenswert empfehlen, da die Autorin fundiert versucht, Israelis und Palästinensern gerecht zu werden:
Margret Greiner. Jerusalem ist eine Frau. München. 2014
Margret Greiner. Jefra heißt Palästina. München. 2005
Leider sind die angedeuteten Brücken in den allerletzten Jahren eher geschleift als verstärkt worden.
Gerade Seetage werden durch die Mahlzeiten strukturiert. Für die Stimmung der Crew sind Koch und Steward von erheblicher Bedeutung. Die Mannschaft der Geneva hat es mit Cookie Wijes und Messman Djsajith gut erwischt.
Zwischendurch vertreibe ich mir die Zeit auch manchmal ein bisschen mit Candy Crush,
einem ziemlich dümmlichen PC-Spiel der Zuckerlobby, das wohl bei jeder Windows-Version dabei ist.
Außerdem habe ich auf dem Kindle noch einen ausführlichen Doku-Roman über den Wiener Kongress, der so manche Geschichts-stunde in Erinnerung ruft und vertieft:
Adam Zamoyski. 1815 – Napoleons Sturz und der Wiener Kongress. C.H.Beck. 2014
Sehr empfehlenswert für lange Schiffsreisen und Corona-Zeiten.
Im schönen Valencia löschen und laden wir bei Regenwetter, so dass es nicht sonderlich schmerzt, dass auch hier niemand von Bord darf.
Die MSC-Reederei betreibt hier ein eigenes Terminal u. a. für Waren, die zwischen Europa und Amerika umgeschlagen werden.
Wir haben neben Containern mit Chemikalien, Elektrogeräten u.v.m. auch Hunderte von Reefern (Kühlcontainer) geladen, in denen Kartoffeln, Avocados, Orangen, Tomaten, Milchprodukte usw. „möglichst frisch auf den Tisch“ transportiert werden.
Sie müssen zum Leidwesen des Käpt‘ns 2 x täglich hinsichtlich Temperatur und Luftqualität von der Crew gecheckt werden, denn diese Manpower fehlt ihm für die Instandhaltung des Schiffes.
Kurz vor Gibraltar überholen wir die CMA CGM Jules Verne, mit knapp 400 m Länge und 16 020 TEU eines der größten Contai-ner-Schiffe. Sie kann mehr als 3 x so viele Kisten laden wie die MSC Geneva (4860 TEU).
Und da ist er endlich wieder, der Affenfelsen. Tschüß Mittelmeer, jetzt geht`s nordwärts Richtung Heimat.
Nach weiteren 4 Seetagen erreichen wir Felixstowe, den größten Containerhafen des Vereinigten Königreiches. Auf der Südseite der Bucht liegt Harwich, das sicher schon mancher von euch mit der „Prinz Hamlet“ oder der „Admiral of Scandinavia“ angelaufen hat.
Heute bedient die DFDS die Verbindung nach Esbjerg und die Stena Line zum Hoek von Holland.
Auch am letzten Vormittag auf dem Törn Felixstowe > Hamburg, begebe ich mich nach dem Frühstück auf die Brücke. Dann hat Third-Mate Sharada Wache und serviert mir wie gewohnt eine Mug Tee.
Die sonst eher raue Nordsee präsentiert sich zum Abschied wie die Alster.
Und auch wenn ich jetzt mindestens 7 Monate keine Container mehr sehen möchte: Ans Ende gehört ein Sonnenuntergang --- auch mit Kisten.