Zu Beginn des längsten Seetörns meines (bisherigen) Lebens bin ich natürlich auf die Crew, weitere Passagiere und meine Kammer gespannt. In Cartagena treffe ich gerade noch rechtzeitig zum Abendessen an Bord ein.
Am Captain’s Table sitzen nicht immer vollständig, aber auf diesem Foto alle-mal, von links nach rechts:
Andry (2. Engineer aus Odessa, Ukraine), Gabriel (Chief-Engineer), Doran (Master = Kapitän), Constantin (Chief Mate = 1. O.), die alle drei aus Rumänien kommen und Rüdiger, pensionierter Beamter (74) aus dem Niedersächsischen Kultusministerium.
Die übrige Besatzung besteht neben einigen weiteren Rumänen durchweg aus See-leuten aus Myamar, die in Rangoon die Seefahrtsschule absolviert haben.
Auch mit meiner Steuer-bord-Achteraus-Kammer auf dem E-Deck bin ich zufrieden. Sie ist recht geräumig, hat zwei Bulleyes (achteraus mit Containern verstellt, zur Seite frei), Schreibtisch, Kühlschrank und natürlich ein eigenes Bad.
Am nächsten Morgen beginnt nach einem ordentlichen Sailor-Frühstück die 24-stündige Fahrt von Cartagena zum Panama-Kanal.
Der einzige Wermutstropfen ist die Tatsache, dass es mit einem E-Mail-Account für mich nicht klappt. Der Alte meint, das Management von Rickmers-Singapore habe dies untersagt und führt es auf die Mentalität der Asiaten zurück. Ich kann dies nicht nachprüfen, werde es aber daheim bei Hamburg-Süd sicher kritisch anmerken. Nun also 3 Wochen ohne Heimkontakt, politische News und Soccer-Results. Da ihr diese Zeilen lest, haben wir es augenscheinlich überlebt.
Großes Glück habe ich mit der Kanal-passage, denn sie findet tagsüber bei gutem Wetter und nicht nachts bei Re-gen statt.
Südlich an den Galapagos-Inseln vorbei geht es dann auf dem Großkreis (Kurs wechselt allmählich von 230 auf 273) nach Auckland.
Ein Besuch in der Maschine ist obligatorisch.
Die Zuverlässigkeit, mit der der 8-Zylinder-MAN-Diesel wochenlang unentwegt läuft, spricht für die Wartung.
Mein liebster Platz ist auf der Brücke, mit herrlichem Ausblick über´s Meer.
Kyi, der 3. Offizier, gibt mir eine Lektion in der Positionsbestimmung mit dem Sextanten, bei der der Brown’s Nautical Almanac unentbehrlich ist.
Vorgeschrieben ist eine Seenotübung pro Woche, bei der die Crew einen durchaus kompetenten Eindruck macht, obwohl sicher niemand den Ernstfall erleben möchte.
Die Abende verbringe ich lesender-weise oder im Salon bei einer Flasche chilenischen Weines mit Rüdiger, der als junger Mann selbst vier Jahre zur See gefahren ist.
Wie die beiden Alten aus der Muppet-Show räsonieren wir über Gott und die Welt, von den Imperativen zu Beginn des Weihnachtsoratoriums bis zum Tabellen-stand von Hannover 96.
An jedem zweiten Abend hängt dieser Hinweis an den Messetüren.
Die Datumsgrenze (180° W u. O) überqueren wir am (arbeitsfreien) Sonntag, d. 14. 02..
Um die Schlagzeile „Meuterei auf Rickmers-Frachter `Spirit of Shanghai`“ zu vermeiden, verlegt der Kapitän das Ereignis auf Freitag, d. 12. Februar. Am Do befinden wir uns also um 24:00 12 Stunden hinter euch, jumpen dann aber direkt auf Sa, 00:00, 12 Stunden vor MEZ (eigentlich 11 Stunden, aber Neuseeland hat gerade Sommerzeit).
Um ganz sicher zu gehen, ordnet der Alte für den Samstagabend ein weiteres BBQ an. Rüdiger und ich steuern, wie beim ersten, jeder einen Kasten Becks bei, was uns an Bord einen makellosen Ruf beschert.
Dabei komme ich auch mit dem Master gut ins Gespräch. Er schwärmt von Neuseeland, würde am liebsten dorthin auswandern, aber seine Frau hängt an der rumänischen Heimat. Kurz vor dem Donaudelta lässt es sich eben auch gut leben, meint er.
Überhaupt nicht verstehen kann er die deutsche Großzügigkeit in der Flüchtlingsfrage.
In seinem großzügigen Büro auf dem Kapitänsdeck zieht er etliche Zierpflanzen, für die er im Gatunsee des Panamakanals extra Süßwasser hat bunkern lassen, denn die Frischwasseranlage des Schiffes, verarbeitet Seewasser zu einwandfreiem, allerdings völlig mineralfreiem Trinkwasser.
Nach 17 Tagen mit ringsherum nichts als Himmel und salzigem Wasser vermag ich ansatzweise zu erahnen, was der Ruf „Land in Sicht!“ zu Zeiten der Entdecker an Gefühlen ausgelöst haben mag. Da kommt selbst der farbenprächtigste Sonnenuntergang nicht mit.
Ich freue mich jetzt auf die Kiwis.
Alles Gute von down under wünscht
Rainer
weiter mit: In 80 Tagen um die Welt - Teil 4
Neuseeland